Ein großes Verdienst von Sam Harris‘ neuestem Buch The Moral Landscape ist seine entschiedene Bekräftigung der Objektivität moralischer Werte und Pflichten. Wer sagt, dass moralische Werte und Pflichten objektiv sind, sagt damit, dass sie unabhängig von menschlichen Meinungen gültig und bindend sind. Wer zum Beispiel sagt, dass der Holocaust objektiv böse war, sagt damit, dass er böse war, obwohl die Nazis, die ihn durchführten, ihn für gut hielten. Und er wäre selbst dann böse gewesen, wenn die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten und es ihnen gelungen wäre, alle Andersdenkenden einer Gehirnwäsche zu unterziehen oder zu vernichten, sodass nur die übriggeblieben wären, die den Holocaust für gut hielten.
Harris entrüstet sich über „hochgebildete atheistische moralische Nihilisten“, über Nihilisten und Relativisten, die sich weigern, objektiv falsche entsetzliche Gräueltaten wie die Genitalverstümmelung kleiner Mädchen zu verurteilen. [1] Mit einem Zitat von Donald Symons erklärt er zu Recht: „Wenn auch nur ein einziger Mensch auf der Welt ein verängstigtes, strampelndes, schreiendes kleines Mädchen niederzwingen, ihre Genitalien mit einer verunreinigten Klinge herausschneiden und sie wieder zunähen würde, ... gäbe es nur die eine Frage zu beantworten, wie schwer dieser Mensch bestraft werden sollte.“ [2] Was nicht in Frage steht, ist, dass ein solcher Mensch etwas furchtbar und objektiv Falsches getan hat.
Objektive moralische Werte und Pflichten
Die Frage lautet also: Was ist die beste Grundlage für die Existenz objektiver moralischer Werte und Pflichten? Was begründet sie? Was macht bestimmte Taten gut oder böse, richtig oder falsch? Traditionell war Gott das höchste Gut (summum bonum), und seine Gebote konstituierten unsere moralischen Pflichten. Doch wenn Gott nicht existiert, welche Grundlage gibt es dann für objektive moralische Werte und Pflichten?
Betrachten wir zuerst die Frage nach objektiven moralischen Werten. Welche Grundlage gibt es im Atheismus für die Behauptung, dass es objektive moralische Werte gibt? Und insbesondere, warum sollte man annehmen, dass menschliche Wesen einen objektiven moralischen Wert besitzen? Aus atheistischer Sicht sind menschliche Wesen nur zufällige Nebenprodukte der Natur, die sich erst in relativ junger Vergangenheit auf einem unendlich winzigen Staubteilchen namens Planet Erde – irgendwo in einem feindlichen und geistlosen Universum verloren – entwickelt haben und in relativ kurzer Zeit individuell und kollektiv dem Untergang geweiht sind. Im Atheismus ist schwerlich ein Grund zu erkennen, warum man annehmen sollte, dass menschliches Gedeihen objektiv gut ist, mehr als das Gedeihen irgendeines Insekts oder das Gedeihen einer Ratte oder das Gedeihen einer Hyäne. Dies ist das, was Harris „das Wertproblem“ nennt. [3]
Mit seinem Buch Die Moralische Landschaft möchte Harris das „Wertproblem“ lösen; er möchte – im Rahmen des Atheismus – die Grundlage für die Existenz objektiver moralischer Werte erklären. [4] Er weist ausdrücklich die Auffassung zurück, dass moralische Werte platonische abstrakte Gegenstände wären, die unabhängig von der Welt existieren. [5] Somit bleibt ihm nur der Versuch, moralische Werte in der natürlichen Welt zu begründen. Aber kann er dies tun, da die Natur an und für sich moralisch neutral ist?
Naturalistische Sicht
Aus naturalistischer Sicht sind moralische Werte nur die verhaltensmäßigen Nebenprodukte biologischer Evolution und sozialer Konditionierung. So wie eine Herde von Pavianen kooperatives und sogar selbstaufopferndes Verhalten zeigt, weil die natürliche Selektion bestimmt hat, dass dies im Überlebenskampf von...
Fortsetzung hier: https://de.reasonablefaith.org/schriften/popularwissenschaftliche-schriften/leitfaden-zu-sam-harris-buch-the-moral-landscape.
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