Einleitung
In christlich-philosophischen Kreisen stößt man immer wieder auf die nur selten ausgesprochene und verteidigte, aber dennoch weit verbreitete Ansicht, dass die richtige Grundlage für religiöse Toleranz in der Ungewissheit zu finden ist, ob die eigene religiöse Weltanschauung wahr ist. Die grobe Idee dahinter scheint die zu sein, dass es umso unwahrscheinlicher ist, dass man Menschen verfolgt, die andere Ansichten haben, je unsicherer man in Bezug auf die Wahrheit der eigenen religiösen Ansichten ist – schließlich könnten diese Menschen ja auch Recht haben. Da die religiöse Vielfalt dazu beiträgt, das Vertrauen in die eigenen religiösen Überzeugungen zu schwächen, sei sie als Unterstützung für die religiöse Toleranz willkommen zu heißen.
Diese oberflächliche Ansicht ist schwerwiegenden Einwänden unterworfen. Zunächst einmal bietet die Ansicht keine moralische Grundlage für religiöse Toleranz, also dafür, warum wir religiös tolerant sein sollten. Sie ist höchstens eine Theorie der menschlichen Psychologie: Sie besagt, dass Menschen, die sich in Bezug auf ihre religiösen Ansichten unsicher sind, weniger dazu neigen, Menschen mit anderen Ansichten zu verfolgen. Doch selbst wenn diese empirische Aussage nachweislich wahr wäre, versagt sie doch im wichtigsten Punkt: Sagen zu können, dass es falsch ist, Gewalt und Nötigung im Namen der Religion anzuwenden. Wir möchten sagen können, dass die Menschen nicht intolerant sein sollten, und nicht nur voraussagen können, dass sie sich unter bestimmten Umständen tatsächlich toleranter verhalten sein werden.
Ohne jegliche moralische Grundlage für religiöse Toleranz ist der bloße psychologische Ansatz instabil und sogar gefährlich. Er lässt die Tatsache außer Acht, dass manche Religionen, z. B. das Christentum oder das Bahaitum, eine Ethik der religiösen Toleranz, der Feindesliebe und der Passivität bei religiös motivierten Verfolgungen als inhärenten Bestandteil des Glaubens haben. Bei solchen Religionen ist es die Gewissheit, nicht die Ungewissheit, in Bezug auf die eigene religiöse Ansicht, die um der religiösen Toleranz willen gefördert werden sollte. Indem der psychologische Ansatz der religiösen Toleranz das Vertrauen der Anhänger solcher Religionen auf die Wahrheit ihrer jeweiligen Ansicht unterminiert, untergräbt er vielmehr die moralische Grundlage dafür, religiös tolerant zu sein, sogar und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit intoleranten Verhaltens.
Auf der anderen Seite führt der psychologische Ansatz bei Religionen, die, wie der Islam, Gewalt und Verfolgung bei der Verbreitung des Glaubens gutheißen, zu der Schlussfolgerung, dass jegliche Grundlage für religiöse Toleranz beseitigt worden ist, wenn diese Menschen sich in Bezug auf ihre religiösen Überzeugungen sicher werden. Da psychologische Gewissheit nicht die Wahrheit der Überzeugung impliziert, erfordert sie nicht, dass Menschen wissen, dass ihre religiösen Überzeugungen wahr sind, sondern nur, dass sie sie für wahr halten. Man lässt die religiöse Toleranz somit riskant darauf balancieren, dass 1,2 Milliarden Muslime in einem Zustand des epistemischen Äquilibriums in Bezug auf ihre Religion bleiben. Sollten Sie sich relativ sicher werden, dass der Islam wahr ist, verdunstet die Intoleranz entsprechend, und der zornige Dschihad kann auf jene Nationen losgelassen werden, die noch nicht in das dar al-Islam (Haus der Unterwerfung) gebracht wurden. Religiöse Toleranz auf Ungewissheit zu gründen, ist beängstigend gefährlich.
Schließlich erscheint der psychologische Ansatz auch in Bezug auf die Quellen religiöser Verfolgung und Gewalt naiv. Ich vermute, dass Intoleranz nicht so sehr aus einer Ungewissheit über die Wahrheit der eigenen Ansichten geboren...
Fortsetzung hier: https://de.reasonablefaith.org/schriften/wissenschaftliche-schriften/ist-ungewissheit-eine-solide-grundlage-fuer-religioese-toleranz.